
Vertrauen
Was ist Vertrauen?
Vertrauen ist eng mit Bewusstsein, Wahrnehmung und Wahrheit verwoben. Je mehr ich in der Lage bin, mich, meine Grenzen und damit auch meine Umgebung bewusst wahrzunehmen und Zusammenhänge zu erkennen, desto mehr kann ich mir und damit auch anderen vertrauen.
Ein ziemlich guter Gradmesser für das momentane Vertrauen ist die Anspannung im eigenen Körper - so ich sie denn wahrnehmen kann - wenn es darum geht, Wahrheiten auszusprechen.
Wie entsteht Vertrauen?
Vertrauen kann erst einmal tatsächlich als eine bestimmte Menge betrachtet werden. In mir befinden sich 100% des Vertrauens, welches mir gerade möglich ist. Denn ich bin die Person, die mich am besten wahrnimmt und kennt. Angst und Scham halten mich in der Regel zurück, meine bewussten Wahrheiten vollständig mit anderen zu teilen. Kinder und andere Personen, die sich vorbehaltlos mitteilen, werden als naiv wahrgenommen. Ich würde dies als unbewusstes Vertrauen bezeichnen.
Bewusst vertraue ich anderen nur zu einem Teil, z.B. 70%. Oder mit anderen Worten: mein Vertrauen hat Grenzen. Dies erklärt, warum viele Therapeuten der Meinung sind, Vertrauen wäre eine Entscheidung. Sie meinen damit, dass der Betroffene nichts bewusst zurückhalten und seine gesamte Wahrheit kundtun sollte.
Für mich ergeben sich daraus zwei Knackpunkte: Zum einen ist über die bewusste Wahrnehmung und die eigene innere Wahrheit ein Vertrauensrahmen von 100% vorgegeben. Darüber hinaus kann nun mal kein Vertrauen seitens des Betroffenen stattfinden.
Das andere halte ich jedoch für deutlich relevanter. Es hat nun mal einen – bewussten oder unbewussten – Grund, warum der Betroffene sich nicht vollständig mitteilt. Tut er dies dennoch, wird dieser Grund/Schutzmechanismus übergangen. Praktisch wird ein Vertrauensvorschuss gewährt. Dann benötigt es ein sehr sensibles Gegenüber für die eröffnete Wahrheit, um diesem Vertrauen auch gerecht zu werden. Wenn dies geschieht – super. Wenn nicht, ist das Vertrauen schwächer als zuvor und beim nächsten Mal wird sich der Betroffene noch besser schützen. Spätestens wenn dieser verbesserte Schutz vom Gegenüber nicht erkannt und akzeptiert wird, entsteht immer mehr Misstrauen.
Doch wie kann tatsächlich Vertrauen entstehen/wachsen/größer werden?
Der Betroffene geht mit dem Vertrauen in Begegnung, welches ihm – möglichst ohne Druck von außen – zur Verfügung steht.
Trifft er auf eine verständnisvolle Umgebung, wird er für die Begegnungen und die Reaktionen offen sein und dadurch neue Erfahrungen sammeln können. Damit wird seine Not gelindert; Angst und Scham werden kleiner. Gleichzeitig wird die Menge seiner erlebten Wahrheiten größer und damit sein Vertrauen.
Begegnet er einem Menschen, der in der Lage ist, die Wahrheiten des Betroffenen auf neue Art und Weise miteinander zu verknüpfen, so wird dem bewusst Bekannten etwas völlig Neues hinzugefügt. Unbewusste Wahrheiten werden ins Bewusstsein geholt. Somit wird der Betroffene in die Lage versetzt, sich selbst umfangreicher wahrzunehmen und damit zu vertrauen. Die bewusste Vertrauensmenge wächst und wird zu den neuen 100%, mit denen der Betroffene jetzt wieder begegnen kann.
Je besser der Betroffene in der Lage ist, seinen Fokus vom Außen zu lösen, sich selbst bewusst wahrzunehmen und zu spüren, desto besser wird es ihm schließlich auch gelingen, diesen Wahrnehmungen und damit sich selbst zu vertrauen und dadurch auch ohne Unterstützung im Außen sich der eigenen Wahrheiten bewusst zu werden.
Allerdings halte ich es an dieser Stelle für sinnvoll, eigene Wahrnehmungen und Wahrheiten auch mal infrage zu stellen und durch das Außen spiegeln zu lassen… ;-)
Fazit
Für mich ist es inzwischen sehr klar, dass es mir sowohl in meiner therapeutischen Arbeit als auch im Alltag immer mehr darum geht, die Wahrheiten des Augenblicks feiner und feiner wahrzunehmen und aufzudröseln. Frei nach dem Motto: Was läuft hier gerade (parallel und/oder auf einer anderen Ebene)? In mir, in Dir und zwischen uns? Und was nicht?
Wenn dies gelingt, dann ist es z.B. möglich, Misstrauen zu spüren und als momentane Wahrheit anzuerkennen, sie auszusprechen, sich somit mit diesem Misstrauen anzuvertrauen und letztendlich wieder mit meinem Gegenüber in Beziehung zu gehen.
andere Beispiele:
"Ich bin gerade nur in der Lage, Dir mit meiner Distanziertheit zu begegnen."
"Ich merke gerade nur Widerstand gegen alles, was aus Deiner Richtung kommt."
"Ich bin wütend auf Dich. Und weiß gleichzeitig, dass ich getriggert bin und Du dafür nicht verantwortlich bist. Deswegen darf ich eigentlich nicht wütend sein. Und jetzt ich schäme mich sowohl meiner Wut, als auch dafür, damit sichtbar zu sein."
"Du bist mir zu nah und ich bin damit überfordert, mich abzugrenzen."
"Mein Fokus ist gerade ausschließlich bei Dir. Mich selbst nehme ich gerade überhaupt nicht wahr."
"Die Diskussion ist gerade so emotional, dass mir klar ist, hier geht es nicht mehr um Argumente, denn wir kommen nicht weiter. Wir können also aufhören, uns um vermeintliche Fakten zu streiten."